Donnerstag, 12. August 2010

Horrortrip

Es ist 6 Uhr 30. Wir wachen in unserer Kajüte aus irgendeinem Grund auf und fühlen uns verhältnismäßig wach. Es entsteht die spontane Idee, einen Früh-Morgens-Spaziergang zu machen. Gesagt, getan. Wir murmeln uns aus den Schlafsäcken heraus und machen uns auf zum Dorfbäcker, der tatsächlich um diese Zeit schon offen hat und uns Brötchen, Streuselschnecke, Kaffee und die Zeitung verkauft. An der einsamen Strandspitze suchen wir uns dann einen Platz zwischen den Möwen, die allerdings wenig von unserer Gesellschaft halten und sich davon machen.
In Timmendorf hat es uns eigentlich wunderbar gefallen. Wir würden gern noch einen Tag bleiben. Aber wohl oder übel neigt sich unser Urlaub dem Ende. Für die Rückreise haben wir nur noch den heutigen und den morgigen Tag. Heute sagt uns Delta Papa Null Sieben: „Ooooooooost drei bis vier. Strichweise dieeeesigggg, strichweise Schauerböen, die See: oooooin bis oooins Komma fünf Meder“. Ostwind ist selten und ideal für den Rückweg. Für Freitag dagegen ist Nordwest angesagt, was fatal wäre. Zudem soll es am Freitag sehr windig werden.
Während wir Delta Papas Berichten beim wunderbaren Frühstück (endlich mal an Deck) lauschen, entscheiden wir, heute zu fahren. Zu hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Morgen der Wind gegen uns umschlägt und zu stark wird. Wir sind schnell startklar und es gelingt ein perfekter Ableger. Kaum sind wir auf der See, fängt es aber an, ununterbrochen zu regnen.
Nach einer Weile Windstille und unter Motor meldet sich Petrus nicht nur mit Schauern, sondern auch mit stark zunehmenden Wind zurück. Moli übernimmt das Steuer und alles scheint gut zu laufen. Fünf bis sechs Knoten Fahrt. Das Land ist schon aus der Sicht. Plötzlich aber muss Moli mal kurz nach unten. Die Folgen sind fatal. Die Seekrankheit, die uns bisher so toll verschont hat, meldet sich nun mit aller Kraft zurück und schaltet Moli ganz einfach aus. Niemals bei Seegang unter Deck gehen! Die Kreuzsee mit Dünung aus Nord und Windsee von Süd-Südost hat kein Erbarmen, tut ihr übriges und lässt das Boot samt Moli wild hin und her schaukeln.
Es wird auch für mich zu einer Grenzerfahrung. Zwar verschont mich die See bei der Seekrankheit, aber ich mache mir große Sorgen um Molis Zustand, wo ich doch gleichzeitig mich um das Boot kümmern muss. Ich finde eine Möglichkeit, sie an Deck hinzulegen, was wegen der eigenwilligen Architektur der Plicht nicht selbstverständlich ist. In die warme Kajüte bekomme ich sie dagegen nicht. Ich kette sie mit dem Lifebelt an, dass sie nicht vom Boot fallen kann und versuche ihr immer wieder etwas zu Trinken anzubieten. Schließlich hole ich den Schlafsack und bette sie darin ein, weil sie inzwischen ununterbrochen bibbert. Das war gut meinte sie später. Der Regen macht unterdessen alles Plitschnass. Meine Moli und meinen Schlafsack.
Mitten auf der Fahrt und irgendwo ohne Land oder Schiffe in Sicht und mit einer Moli im Knock-Out-Zustand bekomme ich einen kleinen Eindruck davon, wie es sein muss, allein auf dem Ozean zu sein. Einerseits beängstigend, weil man durch muss und es kein Entrinnen gibt, andererseits aber auch verdammt schön! Wenn nur das Wetter besser wäre. Und dann meldet sich Delta Papa Null Sieben wieder und ich verstehe, was ich in den Weltumsegler-Büchern las: Die andere Stimme im Funk, die ich ja prinzipiell auch erreichen kann, wird sowas wie eine Verbindung zum Land, durch die man sich heimisch und irgendwie beschützt fühlt. Die Sendung wird zum Tagesereignis.
Nachdem über weite Strecken dieses längsten Abschnittes unserer Reise kein Land zu sehen war, kommen nun endlich die drei Hochhäuser von Burgtiefe auf Fehmarn in Sicht. Längst schon hab ich beschlossen, unser eigentliches Ziel Heiligenhafen nicht anzulaufen und stattdessen nach Burgtiefe in den Heimathafen auszuweichen und unsere Reise um einen Tag zu verkürzen. Ausgerechnet jetzt aber schläft der Wind ein. Ich starte den Motor, um die Reise nicht unnötig zu verlängern. Doch bevor ich Marschfahrt aufnehmen kann, müssen die Segel herunter. Das muss irgendwie allein gehen. Ich werfe den Autopiloten an und versuche das Schiff in den Wind zu stellen, allerdings bringt uns die fiese Kreuzsee immer wieder vom Kurs ab. Moli kann gerad noch schauen, dass bei meinem Manöver nichts mit mir schief geht, angeleint bin ich ja sowieso. Während das Boot wild hin und her schaukelt und in die Wellen stampft stehe ich an Deck am Mast und hole das Groß ein. Geschafft. Nun Heimatkurs Burgtiefe.
Nahe der ersten Fahrwassertonne wird die See ruhiger und Moli kommt langsam wieder zu sich. Ganz schlapp sind ihre Beinchen und ich werde ohne sie und ganz allein in die Box einparken müssen. Ich erinnere mich an die zahlreichen Forenbeiträge, die ich zum Thema „Einhand einparken“ gelesen habe und bereite alles vor. Eigentlich gibt es nur einen (wichtigen) Unterschied zur normalen Vorbereitung: Die Achterleinen belege ich bereits auf die geschätzte und benötigte Länge und lasse sie nicht, wie bisher, einfach an der Klampe mit maximaler Länge gesichert. Das könnte man eigentlich standardmäßig so machen. Der Anleger gelingt Einhand perfekt. Und nun kümmere ich mich nur noch um Moli, die warm verpackt unter Deck soll, Heizung auf Maximum, warme Suppe gekocht und schwuppdiwupp, ihr geht’s schon viel besser und sie kann schon wieder scherzen.
Somit wurde der letzte Tag zum Höllentrip, für den einen wegen der Seekrankheit, für den anderen wegen der Angst um den anderen. Dennoch war es eine beeindruckende Erfahrung, das erste Mal in meiner Seglerkarriere kein Land mehr zu sehen. Beeindruckend fand ich auch, wie ich in der Lage war, vollkommen allein das Schiff zu kontrollieren und sogar einzuparken. Man lernt doch dazu, auch wenn man noch weit davon entfernt ist, ein guter Seemann zu sein. Vor allem aber freu ich mich, dass es Moli auch überstanden hat und ihr es inzwischen viel besser geht!

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